STATISTA

Staatskunst Pioniernutzung Repräsentation

Brache

Zusammen mit ihren Sinnverwandten Häuserlücke, Ruine und alte Fabrik ist die Brache seit einigen Jahrzehnten Sehnsuchtsort der Berliner Projektemacher*innen. Brachen werden zu Räumen und lebendigen Orten, wenn man es sich vorstellen kann: Manche sehen nur Dreck und Müll, andere ein freies Theater oder die größte künstlerische Installation Europas. Die Brache zeigt sich nicht allen. Sie will gerne an Sonntagnachmittagen bei bestimmtem Lichteinfall entdeckt, bewundert und neu gedacht werden. Komisch eigentlich, dass es sie in der Stadt überhaupt gibt, stammt der Begriff doch eigentlich aus der Landwirtschaft. Vielleicht zeigt das aber auch eine historisch gewachsene Dynamik der Urbanisierung auf: Galt es rund um den Krieg noch den Großgrundbesitzern ein eigenes Feld abzuringen, will man heute der Stadt auch eine eigene Ecke abtrotzen. Die noch nicht bestellte Fläche zwischen Zaun und (Fußgänger-)Bach wird so in eine Nutzung überführt – als hätte sie nur darauf gewartet, sinnerobert zu werden.

In Berlin hat fast jedes historische Ereignis in den letzten hundert Jahren Brachen produziert. Sei es Weltkrieg, Mauerbau und -fall oder schlichtweg das Ende der innerstädtischen Industrialisierungsbauten. Die entstandenen (Un-)Orte liegen häufig im Herzen der Stadt, sind dadurch sehr sicht- und gut erreichbar – kurzum attraktiv für Kreative und Aktivisten, die “mal was im öffentlichen Raum machen wollen”. Spätestens seit den 80ern wurden diese Orte verschiedensten Kulturnutzungen zugeführt: Spielplätze, Musikclubs, Nachbarschaftsgärten und viele andere Orte des Zusammenkommens entstanden. Der Charakter dieser verwandelten Brachen hat Berlin im Vergleich mit anderen westlichen Metropolen zu einem besonderen Ort gemacht.

Die Geschichte der Brachennutzung erfährt in den letzten zwei Jahrzehnten eine bemerkenswerte Wandlung. Die Attraktivität der neu entstandenen Orte hat über Umwege Begehrlichkeiten geweckt. Die vielen grünen, grellen und bunten Lückenbespielungen haben das Berliner Stadtleben in besonderer Weise aufgewertet. Es scheint als wolle die gesamte junge Bohème-Szene ihre Kinder zum Spielplatz in der Weltkriegshäuserlücke um die Ecke bringen, die drei Wochenendnächte im Clubkonglomerat am Spreeufer durchfeiern oder in den Urban-Gardening-Refugee-Projekten den Abendsalat pflücken.

Die Attraktivität der Berliner Brachen und ihrer Befüllung zieht im Gegensatz zu anderen Zeiten viele Menschen nach Berlin. Viele Menschen heißt aber auch viel benötigter Wohnraum, den die Stadt gar nicht zur Verfügung hat. Wo, ja wo nur könnte man neue Wohnungen hinbauen, wenn es keine Hochhäuser geben soll und die Nahverkehrsanbindung an den Stadtrand nicht wächst? Gut, dass es in Berlin diese ganzen Brachen gibt…

Zahlen zur Brachensituation nach 1945

  • Kriegsfolgen: Insgesamt 28,5 von 187 Quadratkilometern bebauter Stadtgebietsfläche waren total zerstört. Von 245.300 Gebäuden waren unmittelbar nach Kriegsende 11,3 Prozent total zerstört, 8,3 schwer beschädigt, 9,7 Prozent wiederherstellbar und 69,4 Prozent bewohnbar.
  • Mauerfolgen: Das Bollwerk aus Beton und Stacheldraht zog eine rund 43 Kilometer lange Schneise durch die Stadt. Sie erstreckte sich über 1500 Grundstücke auf dem Mauerstreifen.


Liste bekannter Brachenareale

Moritzplatz: Prinzessinnengärten
Spreeufer: Holzmarkt
Schlesische Str./ Cuvrystr.: Cuvrybrache
Schreinerstraße: Drachenspielplatz
Revaler Straße: RAW Gelände
Bernauer Straße: Flohmarkt Mauerpark
Ratiborstraße: Ratibor14
Gleisdreieck: Park am Gleisdreieck
ehem. Flughafen Tempelhof: Tempelhofer Feld
Mehringdamm/ Obentrautstr.: Dragoner Areal
Bethaniendamm: Baumhaus/ Gemüsefeld an der Mauer