STATISTA

Staatskunst Pioniernutzung Repräsentation

CHECKLISTE

Welche Fragen können sich Akteure und Aktivist*innen aus Kunst und Kultur stellen, um ihre Projekte in der Debatte um Kunst & Gentrifizierung, bzw. Verstetigung zu reflektieren?

Ganz Berlin diskutiert heiß: Wer hat die Mieter*innen der Stadt verraten? Warum gibt es nicht genug Wohnungen, Räume, Neubaupläne? Die Schuldigen sind schnell gefunden: Kapitalismus, Immobilienbesitzer, die CDU in den 90ern oder die SPD in den 2000ern. Mittendrin hockt die alte und neue Kunst-Avantgarde auf den letzten noch vorhandenen Strukturen freien arbeitens und gestaltens in Berlin: Was gilt es zu verteidigen? Was kann man in der Innenstadt noch erobern? Geht man freiwillig immer weiter in Richtung Stadtgrenze? Einige befragen sich auch selbst kritisch: haben wir vielleicht zu dieser Stadtentwicklung beigetragen?

Man kann Antworten auf diese Fragen in den üblichen wissenschaftlichen Publikationen nachlesen. Andrej Holm beispielsweise hat verschiedene Werke zur expliziten Entwicklung Berlins in den letzten Jahrzehnten veröffentlicht. Was Kunst mit Gentrifizierung zu tun hat lässt sich da eingehend nachvollziehen: Berlin zeichnet sich durch künstlerische Pioniere aus, die relativ unbedarft in früher verwegene Stadtteile gegangen sind, dort in der Not tolle Lösungen entwickelten, die heute lebenswerteste Kieze zur Folge hatten. Das wirft natürlich Fragen zur Verantwortung von Künstler*innen bei der Gesellschaftsentwicklung auf: Kann ein Immobilienspekulant ganze Häuserreihen gewinnbringend kaufen, sanieren und teuer wiederverkaufen ohne dass es in der Nachbarschaft spannende Kulturzentren, Cafés/Kneipen, Galerien, etc. gibt? Wie sind die dahin gekommen? Wer schafft es sich in diesen Nachbarschaften ökonomisch und identitätstechnisch zu halten und wer muss gehen?

Spätestens seitdem via Artwashing Kunst als Strategie benutzt wird, um bestimmte Stadtbereiche aufzuwerten, gilt es das eigene Tun kritisch zu reflektieren sowie wehrhafte Antworten auf die aktuelle Stadtentwicklung zu entwickeln. Hierbei kann die folgende Fragensammlung hilfreich sein, die nicht nur das eigene Handeln kontextualisiert, sondern auch auf Strategien und Potenziale hinweist neue Projekte besser zu machen und gute bestehende Projekte zu erhalten. Nach dem Motto FAQ [Lautsprache „fak“]: what do we do?

Ein neues Projekt entwickeln

Inhalte (welche künstlerische Strategie wähle ich?) 

  • Ausstellungsansatz? Folgen des Projekts bedenken. Problematisch bspw. bei Eventifizerung, Pop-Up-Store/Galerie (Nachhaltigkeit?)
  • Mischungsansatz? Künstlerische Bedarfe mit Bedarfen anderer verknüpfen, wie bspw. Exrotaprint, RAW, Holzmarkt (Bedenkt lokale Bedingungen, oftmals langfristig geplant)
  • Campaigning-Ansatz? Aktionen im offenen Raum, wie bspw. Kotti & Co (Stark öffentlichkeitswirksam, oft in Nachbarschaft, reaktiv)
  • Bildungsansatz? Mit jungen Menschen, Nachbarschaft, etc. Stadtthemen verhandeln/ gemeinsame Stadt entwickeln, wie bspw. Junge Pächter (Empowerment)
  • Entdeckeransatz? Übriggebliebene Flächen für Gemeinschaft urbar machen, wie bspw. CoopCampus, Australische Botschaft (Allmende)

Zeitrahmen

  • Wie lange soll das Projekt gehen? Ist es langfristig angelegt oder nur für einen begrenzten Zeitraum gedacht?
  • Wir wollen heute ein Projekt machen. Sollten wir schon an morgen denken? 
  • Welche Konsequenz haben kurz- oder langfristige Projekte für den Sozialraum?

Raum

  • Wie wählen wir den Ort? Was wissen wir über den Kiez? Wie positionieren wir uns zu seiner Entwicklung und Zukunft?
  • Welche Rolle spielt der Raum für unsere Kunst? Welche Rolle spielt unsere Kunst für den Raum?
  • Warum sollten wir uns als Künstler*innen mit unserem Umfeld auseinandersetzen? Was interessieren uns die Nachbarn? 
  • Ist das Projekt partizipativ und wenn ja für welche Gruppen? (z.B. Jugend, Integration, Nachbarschaft)
  • Wird der Ort durch uns und unsere Kunst besser für alle?

Finanzen

  • Wird das Projekt über einen Antrag bei einer öfftl. Einrichtung oder Stiftung finanziert?
  • Wird das Projekt mit Privatmitteln unterstützt? (z.B. Immobilienerwerb o.Ä.)

Image

  • Welches Bild kommuniziert das Projekt?
  • Spricht das Projekt verschiedene, lokale Zielgruppen an? 
  • Ist das Projekt gut mit der lokalen Nachbarschaft, Politik, etc. vernetzt?

Ein laufendes Projekt in die Langfristigkeit führen 

Strukturaufbau

  • Was für eine Rechts-/Organisationsform wollen wir aufbauen? (Müssen wir uns alle einigen? Und was ist, wenn es nicht klappt?)
  • Wie gehen wir miteinander um? (U.a. zur gegenseitigen Unterstützung oder bei Konflikten: Mit Konflikten umgehen lernen oder Strategien entwickeln wie im Projekt und außerhalb kommuniziert wird) 
  • Kann man eine Dynamik verstetigen? Wie bleiben wir flexibel?
  • Welche Zielstellung verfolgt das Projekt und welche Etappen sollen auf dem Weg dahin erreicht werden?
  • Welche langfristigen strategischen Partner sind für das Projekt notwendig?

Raumentwicklung

  • Welches Verhältnis wollen wir zur Nachbarschaft und anderen Künstler*innen? Wie geht kreative Partizipation?
  • Was ist bei der Einbindung der Nachbarschaft in der Projektumsetzung zu beachten? 
  • Wie positioniert sich unser Projekt im Stadtgefüge? Soll es auch international angebunden sein?

Finanzierung

  • Wer kann das Projekt in welcher Form finanziell unterstützen? (Immobilienerwerb, Material, jurist. Beratung, etc.) 
  • Welche Finanzierungsmöglichkeiten gibt es im Antragsbereich (Stiftungen, lokale und bundesweite Fördermöglichkeiten, etc.)
  • Welche Fördermöglichkeiten gibt es bei Immobilienerwerb? Genossenschaften (Mietshäusersyndikat)? Stiftungen (Edith Maryon, Trias, etc.)? Stadt als Käufer?

Zukunftsfragen

  • Wie geht es weiter? Haben wir eine gemeinsame Zukunft? 
  • Für welche Utopie, bzw. gesellschaftliche Zukunft wollen wir ein langfristiges Projekt machen?

Ein bedrohtes Projekt retten 

Rechtliches

  • Welche rechtlichen Möglichkeiten gibt es um Bedrohung abzuwehren? (Mietobergrenzen, Stadtplanungsrecht, Millieuschutzgebiet, Community Land Trust (CLT), Vorkaufsrecht)
  • An wen kann man sich zwecks Beratung/ Betreuung wenden? (Tipps und Tricks, von anderen Lernen, etc.)

Strategieentwicklung

  • Wir sollen hier raus? Was können wir tun? (abwägen was sinnvoller ist: sich wehren oder anderen Ort suchen)
  • Ist ein Kontakt zum Verursacher der Bedrohung herstellbar? (Eigentümer, polit. Verantwortlicher, etc.)
  • Öffentlichkeitsarbeit intensivieren: An wen wenden, um die Situation zu verbessern? (Politik, Medien, etc.)
  • Wie kann Kunst politisch/ öffentlichkeitswirksam eingesetzt werden? (Zwiespältigkeit bedenken: Öffentlichkeit schafft auch Bewusstsein für Orte und kann somit Attraktivität für bestimmte Orte überhaupt erst entstehen lassen)

Partnerschaften

  • Wie kann von bestehenden Netzwerken/ best cases gelernt werden? Wer hat ein ähnliches Problem gelöst? Wie wurde vorgegangen? Von welchem Image wird profitiert?
  • Wie können breit angelegte Partnerschaften aufgebaut werden? (Medien, politisch Zuständige, lokale Ansprechpartner, z.B. Quartiersmanagement)
  • Welche Förderinfrastruktur kann auch schnell weiterhelfen? (Stiftungen, Fonds, etc.)

Verlust/ Ende eines Projekts verkraften oder gestalten

Wissenstransfer

  • Welche Erfahrungen wurden gemacht und können weitergegeben werden?
  • Welche Projektinfrastruktur kann andernorts eingesetzt werden?

Konzeption

  • Welche Projektbestandteile können andernorts vielleicht neu aufgebaut werden? Was gilt es konzeptionell anzupassen?
  • Partnerevaluation
  • Mit wem wurde im Projekt kooperiert? Kann hieraus etwas Neues entstehen?
  • Welche neuen Netzwerke sollten aufgebaut werden? (Wirtschaft, Politik, Zielgruppen, etc.)

Grundsatzarbeit

  • Ist politisches Lobbying sinnvoll, um die eigene Position zu verbessern? (Entwicklung strategischer Interessenvertretung von Kunst- und Kulturprojekten gegenüber Lokal- und Stadtpolitik, evtl. sogar Bundespolitik)
  • Wer entscheidet über Kulturprojekte, ihre Schließung, oder ihr Bestehen? Wer bewertet, ob es sich um eine wichtige Kulturinstitution handelt und wie kann darauf Einfluss genommen werden?