STATISTA

Staatskunst Pioniernutzung Repräsentation

Aneignung

Aneignung
Substantiv, feminin.

  1. a) Eigentumserwerb von herrenlosen Sachen oder Tieren.
    b) widerrechtliche Inbesitznahme.  
  2. das Lernen. (Dudenonline, Juli 2019)

Aneignung eines Ortes / Gebäudes 
„Pioniere“ finden einen Ort, beleben ihn (kreativ), geben ihm Inhalt und ein Image. 

Im Sommer 2009 befreiten mehr als 100 engagierte Menschen eine Brache am Berliner Moritzplatz von Müll. Es entstand der Prinzessinengarten, ein Ort ökologischer Landwirtschaft, ein Ort der Begegnung, der Bildung und vieles mehr (Common). Inzwischen ist die Initiative international bekannt und vernetzt. Immer wieder droht Bebauung und Verdrängung. Unter #GewachsenUmZuBleiben verteidigen die Akteure den Platz, den sie sich angeeignet haben. (1) 

2012 hat die Initiative Kotti&Co am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg das „Gecekondu“ (türk. „über Nacht gebaut“) aufgestellt. Es ist Ort der Begegnung, Zentrum des Protests im Kampf für bezahlbaren Raum, gegen Gentrifizierung, und bietet u.a. Mieter*innenberatung für Anwohner*innen, die massiv von Verdrängung bedroht sind. Die Akteure haben sich den Platz angeeignet, das „Gecekondu“  wird seit 2012 geduldet und hat sich verstetigt, obwohl nie eine Bau- oder Nutzungsgenehmigung vorlag. (2) 

Aneignung des kreativen Image eines Ortes / Gebäudes
Jemand mit ökonomischem Interesse, z.B. ein Investor wirbt mit den Inhalten, die andere (s)einem Ort einhauchen. 

„Im Jahr 2009 retten Künstler das Gängeviertel und erschaffen damit einen kreativen Raum“, ist auf der Website des Hamburg Tourismus unter ‚Sehenswürdigkeiten‘ zu lesen. Seitdem hätten Zehntausende Gäste aus aller Welt Ausstellungen, Konzerte, Partys und Lesungen im Viertel besucht.  Die Aktivist*innen von „Komm in die Gänge“ mussten von genau der Stadt, die sich nun mit diesem kreativen Raum schmückt, einen Rückkauf des Viertels durchsetzen, um die Verdrängung und Luxussanierung durch einen Investor zu verhindern. Die ‚Marke Hamburg‘ freut sich offenbar über dieses freche kulturelle Image, das auf sie zurückstrahlt und weiter Tourist*innen anzieht. (3) 

Aneignung politischer Slogans (der Gegenposition)

Auf dem ehemaligen Uni-Campus Bockenheim, Frankfurt am Main, planten Stadt und Land eine Neukonzeption mit KulturCampus und hochpreisigem Wohnen. Soziale und kulturelle Initiativen setzten sich gegen diese Pläne ein. Sie feierten z.B. eine eigene Eröffnung des KulturCampus mit dem Statement, Kultur sei bereits vorhanden. Leuchtturm-Luftballons stiegen in den Himmel, eine Aneignung als Symbolik gegen das verwendete Image ‚Leuchtturmprojekt‘ KulturCampus. Die Gegenseite wiederum nahm die Narrative der Aktivist*innen auf und nutze sie für ihr eigenes Marketing. (4) 

Als in einem vor dem Abriss stehenden Gebäude am Berliner Moritzplatz, unter dem Namen „The Shelf“ aktiv Kunst für Immobilienmarketing (artwashing) benutzt wurde, protestierte Kunstblockandbeyond, ein Zusammenschlussaus Kunst- und Kulturschaffenden, verwendete das Design des Investors und machte in einer Aktion aus „The Shelf“ z.B. „The Verdränger“. (5) 

„Wir sind gekommen, um zu bleiben", war ein Motto der Nutzer*innen im langen Kampf um den Erhalt der Soziokultur und freien Kunst auf dem RAW-Gelände Friedrichshain. Auf einem PR-Event bewarb der private Eigentümer seine eigenen Immobilienentwicklungspläne mit diesem Spruch. Aus kultur- und sozialpolitischen Ansprüchen wurden akzeptanzfördernde Worthülsen. (6)

 

(1) Mehr Infos: www.prinzessinnengarten.net
(2) Mehr Infos: www.kottiundco.net 
(3) Mehr Infos: www.das-gaengeviertel.info/
(4) Aus: Vollmer, Lisa. Strategien gegen Gentrifizierung. Schmetterling, Stuttgart, 2018.
(5) Siehe auch: www.taz.de/Zwischennutzung-in-Berlin-Kreuzberg/!5531316/
(6) Mehr Infos: www.rawcc.org und www.raw-kulturensemble.de