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Partizipation

Ist Partizipation auch Kunst?

Partizipation, die - das Teilhaben, Teilnehmen, Beteiligtsein (Duden, online) 

Partizipation ist eng mit der Idee der Demokratie verknüpft und richtet sich gegen Hegemonie, Konflikt- und Konkurrenzdenken. Ihr Ziel ist die Einbindung unterschiedlicher Individuen, Gruppen und Organisationen im Sinne einer aktiven Teilhabe und Teilnahme an Entscheidungsprozessen.  In Aussicht können hier beispielsweise die Durchsetzung eines politischen Anliegens oder auch eine kreative Projektentwicklung stehen. Die Gemeinschaft steht hierbei vor individuellen Gegensätzen. Partizipation dient außerdem der Erprobung neuer Möglichkeitsräume. Nebst der politischen Komponente von Partizipation, stellt dieser Text nun die Frage nach einer weiteren möglichen Definition: Ist Partizipation auch Kunst?


Partizipation in der Politik

Klar. Wenn von Partizipation und Demokratie die Rede ist, dann mag das erst einmal nach einer rein politischen Angelegenheit klingen. Hegemoniale Machtstrukturen lassen sich allerdings in allen möglichen Institutionen wiederfinden. Auch in jenen Institutionen, die mit ihrer Arbeit einen Bildungsauftrag verbinden und sogar selbst zur Partizipation aufrufen und einladen. Dieses Phänomen ist auch im Kontext künstlerischer Projekte zu beobachten.


Kunst ist doch für alle da!

Obwohl in vielen Museen und Kunstbetrieben der Wunsch nach „sozialer Inklusion“ und nach einer „Kunst für alle“  groß ist, ist der Umgang mit dem Konzept der Inklusion und Partizipation oft ambivalent. Was auf den ersten Blick demokratisch erscheinen mag, kann sich ideologisch schwierig gestalten. Nora Sternfeld beschreibt in ihrem Text über das „postrepräsentative Museum“, wie eine „Kunst für alle“ entlang der deutschen Geschichte häufig als Herrschaftstechnik eingesetzt wurde, um „volkserzieherisch“zu wirken. [1] Auf diese Weise konnten zu Beginn des 20. Jahrhunderts und in der Zeit des Nationalsozialismus mittels einer institutionell organisierten Kunst rassistische und antisemitische Ideologien ebenso verbreitet werden wie in den Schulen. Und das durch Organisation künstlerischer Repräsentation mit klaren politischen Absichten. Wenn heute von Repräsentation marginalisierter Gruppen in der Kunst gesprochen wird, liegen dieser Idee nicht zwangsläufig propagandistische Absichten zugrunde. Die Regeln wie hier „repräsentiert“ wird, werden allerdings nicht immer von den „Repräsentierten“ festgelegt. Man denke beispielsweise an die vielen nach westlichen Klischees inszenierten Abbildungen indigener Volksgruppen des „Jahrhundertfotografen“ Irving Penn aus den 1940er und 50er Jahren. Derartige Bilderwelten sind heute zwar überholt, die Praktiken, mit denen sowohl Repräsentation, als auch Partizipation institutionell organisiert werden, sind aber leider noch heute präsent. Solange Partizipation in der Kunst nur in eine Richtung gedacht wird, d.h. solange nur versucht wird Interessierte und Teilnehmende in einen ideologisch eingezäunten Kunst-Kosmos zu integrieren, in dem Ziele und Intentionen schon im Vorfeld verhandelt wurden, werden sich die von Sternfeld benannten „Spielregeln“ [2] der Institution nicht ändern.  Die Kritik an diesen Verhältnissen ist groß und wird nicht selten sogar in den Kunstinstitutionen selbst formuliert und diskutiert, jedoch wird sie oft, so Sternfeld, auf eine Art und Weise integriert, die lediglich zur Analyse der Verhältnisse führt, aber nicht immer zu tatsächlichen Veränderungen.[3] Die Frage nach Partizipation innerhalb festgeschriebenen Institutionen, ist auch immer eine Frage nach Organisation, Offenheit und künstlerischer Intention. 
 

Ist das Kunst oder kann das weg? 

Handelt es sich noch um Kunst, wenn „Amateur*innen“ mitmachen? Muss man eine künstlerische Ausbildung genossen haben, um das eigene Werk ein Kunstwerk zu nennen? Kann man auch als Amateur*in den Ausgang eines Projektes beeinflussen? Die Frage danach, was und ob etwas Kunst und wer etwas davon versteht, ist bekanntermaßen nicht leicht zu beantworten. Der Status „Künstler*in“ bzw. die Bezeichnung „Kunst“ in einem umkämpften Feld muss nicht selten verdient werden.  Groß ist die Versuchung bei groß angelegten Projekten unter Künstler*innen zu bleiben, da man sich hier bereits auf eine gemeinsame Sprache und gemeinsame Ziele geeinigt hat. Es erfordert  unter Umständen Risikobereitschaft und Mut, Kunst in ihrem Entstehungsprozess für alle zu öffnen. Partizipation lebt von einem gegenseitigen Lernprozess und der Bereitschaft auf Wünsche und Vorstellungen anderer eingehen zu können und zu wollen. Die große Kunst besteht darin, sich von exklusiven und ablehnenden (traditionellen?) Verhaltensweisen zu befreien und sich mit dem Gedanken anzufreunden, eben nur zu einem gewissen Grad Expert*in für ein bestimmtes Fach, einen Ort oder ein Thema zu sein. Aber Partizipation muss auch von den Teilnehmenden gewünscht werden. Es gilt selbstbewusst eigene künstlerische Fähigkeiten zu erkennen und einbringen zu wollen - mit oder ohne künstlerische Ausbildung. Je offener der Ausgang partizipatorischer Kunstprojekte, je größer die Motivation voneinander lernen zu wollen (und zu können!) und je experimenteller die Durchführung eines solchen Projektes, desto erfolgreicher die Partizipation im Sinne eines „solidarischen institutionellen Handelns“.[4]


Reflektor Neukölln – Solidarische Kunst 

Um ein Zeichen gegen Verdrängung im Schillerkiez in Berlin Neukölln zu setzen, stellte das Künstler-Kollektiv „Reflektor Neukölln“ lebensgroße und realistisch aussehende Puppen her, welche das Kollektiv in den Straßen des Kiezes verteilte. Mit nur dem Nötigsten (Koffer, Zahnbürsten etc.) ausgestattet, sollten diese die „Geister der Verdrängten“ darstellen, also die Kiezbewohner*innen deren Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt werden sollten. Sie nahmen also mit ihrer Kunst direkten Bezug auf die prekären Konsequenzen von Gentrifizierung in Neukölln. Auf der „Mietenwahnsinn“-Demonstration, welche im April 2019 in Berlin vom Alexanderplatz aus startete, lud das Kollektiv Demonstrant*innen dazu ein, sich für die Demo weiß anzumalen, um die „Geister der Verdrängten“ buchstäblich zum Leben zu erwecken. Gemeinsam nahm diese Gruppe, bestehend aus Künstler*innen und anderen Demonstrant*innen, an der Demo teil und zog durch ihr außergewöhnliches Erscheinungsbild die Aufmerksamkeit auf sich. So entstand durch Partizipation eine performative Protestaktion mit einer politischen Botschaft an der jede*r spontan teilnehmen durfte und deren Bedeutung in ihrem Kontext klar und deutlich war. Durch die Verschmelzung von Künstler*innen und Demonstrant*innen und ihre große Anzahl bekam die Idee bzw. die Aussage der Aktion ein besonderes Gewicht. 


ExRotaprint – Die Kunst der Gemeinnützigkeit

Auf eine langfristige Zusammenführung von Künstler*innen und Nachbar*innen zielen die bildenden Künstler*innen Daniela Brahm und Les Schliessermit ihrer selbstorganisierten Leitung eines ehemaligen Firmengeländes im Berliner Stadtteil Wedding ab, das sie 2007 mithilfe einer rechtlichen Klammer aus Erbbaurecht und Gemeinnützigkeit übernehmen und so Immobilienspekulationen entziehen konnten. Sie vermieten Räumlichkeiten an Nachbar*innen und Nutzer*innen aus den Bereichen „Kunst, Arbeit und Soziales“ und setzten auf eine soziale Mischung, die nach eigener Aussage „neue Impulse und gegenseitige Akzeptanz in einer prekären Nachbarschaft möglich macht – für und mit den Menschen, die hier leben“. [5] Hier geht die Idee von Partizipation über eine künstlerische Zusammenarbeit hinaus und meint das Zusammenleben von unterschiedlichen Nutzer*innen, deren Einzelinteressen hinter die Idee des Projekts gestellt werden. ExRotaprint sieht sich hierbei „den selbst gewählten gemeinnützigen Zielen verpflichtet“.[6] Einen Abfluss von Kapital will das Projekt gleichzeitig verhindern. Darüber, ob es sich bei der Verwaltung von ExRotaprint um gemeinnützige Arbeit von Künstler*innen oder um „künstlerische Praxis“ mit gemeinnützigen Zielen handelt,  ließen Brahm und Schliesser bei einer Präsentation über das eigene Vorhaben bewusst offen. Da es sich bei ExRotaprint aber um die Erprobung eines Möglichkeitsraumes handelt, der auf dem Wunsch nach Solidarität, Partizipation und Gemeinschaft beruht, lohnt es sich dieses Experiment weiter zu beobachten. 


Partizipation als Kunstform

Solidarität, Akzeptanz und Zusammenhalt sowie gemeinsame Ziele innerhalb einer heterogenen Gruppe sind letztendlich in der Lage, gesellschaftliche Veränderungen und Verbesserungen für alle anzustoßen. Es geht auch darum der Kunst ihre Definitionsmacht zu entziehen und neue kreative und vor allem experimentelle und „unbestimmte“ Wege einzuschlagen. Der Wunsch nach Partizipation und Solidarität auf allen Seiten sowie ihre erfolgreiche Umsetzung durch Kommunikation, Geduld, Selbstreflexion und Motivation sind die Basis für dieses Gelingen. Die Kunst ist der bewusste Sprung über den eigenen Schatten. Und zwar mit Anlauf.

 


[1] Sternfeld, Nora: Das radikaldemokratische Museum; De Gruyter, Wien 2018. S.74

[2] Vgl. Sternfeld, S.76

[3] Vgl. Sternfeld, S.75

[4] Sternfeld, S.80

[5] Was ist ExRotaprint?:https://www.exrotaprint.de/exrotaprint-ggmbh/ (Stand: 20.08.2019)

[6] Ebd.